Inhaltsangabe

Mehr als hundert Jahre sind seit dem Ende des ersten Weltkrieges vergangen. Man sollte meinen, nach so langer Zeit sind alle Fragen geklärt und alle Aspekte von allen wesentlichen Seiten aus beleuchtet. Dies sollte besonders für die Masterfrage gelten, die am intensivsten beleuchtete Frage nach der Kriegsschuld.

Hier sind von Anbeginn an mehrere Antworten im Angebot:

Die „klassische“ Antwort:
Der Krieg endet 1918 mit der Niederlage des Deutschen Reiches. Deutschland hat den Krieg angefangen und letztlich verloren, die Schuldfrage ist regelgemäß geklärt: schuld ist immer der Verlierer, also Deutschland mit Verbündeten. So steht es im Friedensvertrag.
Auf der Seite der Verlierer sieht man das naturgemäß anders und versucht die (Mit-)Schuld der Kriegsgegner historisch zu beweisen.

Die letztendlich gültige Antwort:
Man einigt sich im Für und Wider der unterschiedlichen Varianten der klassischen Antwort auf einen Mix von Faktoren, die man je nach politischem Gusto unterschiedlich gewichten kann:
die Konkurrenz zwischen den Großmächten im Drang nach Kolonien, ihr Nationalismus und nationales Prestige, die Hochrüstung, die öffentliche Meinung, das Versagen der verantwortlichen Politiker (z.B. des Kaisers) und dergleichen mehr.

Obwohl diese Masterfrage also einvernehmlich geklärt ist, beschäftigen sich viele aktuelle Veröffentlichungen zum Jubiläum mit diesem Thema. Sie dienen angesichts der vorherrschenden Einigkeit in den Bewertungsfragen offenbar nicht der Klärung und Diskussion des Strittigen, sondern der Festschreibung und Affirmation der vereinbarten gesellschaftlichen Konvention bei der
Bewertung dieses Ereignisses.

Diese Publikation dient ausdrücklich nicht dazu – das ist weder das Anliegen des Autors Klaus Schabronat noch das des Verlages der Jenny Marx Gesellschaft – der Fülle an inhaltsgleichen und nur in Varianten voneinander abweichenden Darstellungen über den ersten Weltkrieg eine weitere hinzuzufügen. Sie versteht sich ausdrücklich als eine bewusst davon abweichende Gegendarstellung zum vereinbarten, „letztendlich gültigen“ Geschichtsbild.

Mit geradezu kriminalistischem Spürsinn unterzieht der Verfasser die Frage nach den Ursachen dieses Krieges einer sehr genauen Analyse. Er stellt die Frage, wem nutzte dieser Krieg, wer hatte besonderes Interesse ihn zu führen, wer hat vor allem in ganz besonderem Umfang daran profitiert?

Also die alte Frage: Qui bono?

Dazu nutzt der Autor auch Arbeiten, die inzwischen weitgehend aus dem Blick geraten, wenn nicht untergegangen sind. Werke von DDR-Historikern, die teilweise mit anderen Methoden und Fragestellungen den ersten Weltkrieg aufgearbeitet hatten, aber im Zuge der „Abwicklung“ der DDR verschwanden.Akribisch trägt Klaus Schabronat in seinem Werk deren Ergebnisse und Deutungen zusammen. Er greift dabei auf Arbeiten von Gutsche, Klein nebst Autorenkollektiv zurück. Er lässt Lenin zu Wort kommen und zitiert Engels, der einen Weltkrieg lange vorher vorausgesagt hatte.

Durchaus abweichend von der herrschenden Methodologie, die den schriftlichen Nachweis für den Bankraub fordert und sich ohne diesen unfähig zeigt, eine hinreichende Beschreibung der Realität zu liefern, führt er Evidenz- und Indizienbeweise für seine Darstellung an. Kritisch setzt er sich mit der Tatsache auseinander, dass weder die Ergebnisse der DDR-Forschung in die neueren Arbeiten einfließen, noch deren Methoden oder Fragestellungen berücksichtigt werden.

Interessant in diesem Zusammenhang auch seine Sicht auf die Verschleierungsmethoden, derer sich bedient wird, um von den Wirtschaftsinteressen der beteiligten Akteure und ihrer Einflussnahme abzulenken und bestimmte Fragestellungen zu marginalisieren bzw. zu unterbinden.

Besonderes Augenmerk richtet er auf die Rede Karl Liebknechts vom 11. Mai 1914 im Reichstag, die wir als eigene Broschüre anbieten. Diese beleuchtet die bedeutenden Verquickungen zwischen einzelnen Großkonzernen der Rüstungsindustrie einerseits und wichtigen Akteuren des Staates andererseits näher.
Auch die internationale Verquickung des Rüstungskapitals wird von Liebknecht aufgezeigt, was diese Rede zu einem wichtigen Zeugnis dessen macht, was man bereits als politisch informierter Zeitgenosse wissen konnte, wenn man es wissen gewollt hätte. Dies steht in einem bemerkenswerten Kontrast zu dem, was man heute bereits nicht mehr weiß bzw. nicht mehr wissen will.

Wie kann man bei einer glaubwürdigen Ursachenforschung die Wirtschafts- und Profitinteressen der führenden Politik- und Wirtschaftsakteure unberücksichtigt lassen, übersehen oder als marginal abtun?
Wie kann man die dazu vorhandenen und passenden Dokumente nicht berücksichtigen?
Handelt es sich etwa um interessengeleitete Geschichtsklitterung / -verkennung?

Wir leben in Zeiten, in denen die Erfahrungen der schrecklichen Weltkriege des letzten Jahrhunderts wieder verblasst sind. Kriege sind wieder an der Tagesordnung und Deutschland als Kriegstreiber der letzten Weltkriege gibt seine Zurückhaltung mehr und mehr auf und drängt vermehrt auf die Kriegsschauplätze unserer Tage. In diesem Zusammenhang ist es dringend notwendig, die Lehren aus der Vergangenheit unbeeinflusst von aktuellen Interessen an bestimmten Antworten zu ziehen. Gerade die Wiederkehr kriegsauslösender Faktoren und Mechanismen zwingt dazu, diese Parallelitäten genauer unter die Lupe zu nehmen, um so tatsächlich aus der Geschichte lernen zu können.

Detailliert und spannend geht der Autor diesen Aspekten auf dem Grund, gut verständlich auch ohne das Erfordernis einer historischen Ausbildung. Klaus Schabronat liefert die Betrachtung der Schuldfrage aus einer ganz anderen Perspektive und mit einem klaren Fingerzeig auf heutige Entwicklungen und dahinterstehenden Interessenlagen.

Wir wünschen dem Werk die Beachtung, die seine Erkenntnisse in dieser Zeit verdienen.

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